In Europa leben heute kaum noch Menschen, die aus eigener Erfahrung wissen, was richtiger Hunger ist. Die meisten kennen nur dieses leicht unangenehme Gefühl, wenn der Magen knurrt. Was richtiger Hunger mit einem Menschen macht, nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistig-psychischer Hinsicht, kann man sich als Bewohner eines reichen Industriestaates kaum noch vorstellen. Daher kommt wohl auch die unter Übergewichtigen und Abnehmwilligen immer noch verbreitete Vorstellung, mit etwas Willensanstrengung könnte man sich seine überflüssigen Pfunde abhungern.
Natürlich ist es richtig, dass Hungern auf lange Sicht die überflüssigen Pfunde zum Verschwinden bringt. Allerdings wird es kaum möglich sein, dieses Hungern unter Bedingungen des Überflusses durchzuhalten.
Der Ich-Erzähler in Hamsuns Roman Hunger hat keine Wahl. Er hungert. Und erzählt uns ausführlich von seinem körperlichen und psychischen Zustand. Obwohl die Handlung des Buches alles andere als spektakulär ist, ist es absolut faszinierend und spannend zu lesen. Nach der Lektüre dieses Buches ist eindeutig klar, dass echter Hunger nur dann ausgehalten werden kann, wenn es wirklich nichts zu essen gibt. Und dann droht immer die Gefahr des Verhungerns. Hamsuns Ich-Erzähler entgeht dieser Gefahr nur, indem er auf einem Schiff anheuert, das zu einem nicht existierenden Hafen unterwegs ist.
Bereits 1890 erschienen, beruht der Roman auf den persönlichen Erfahrungen des Autors. Mit Recht wird dieses Buch zur Weltliteratur gezählt.
Der Autor
Knut Hamsun erhielt 1920 den Nobelpreis für Literatur. Während sein literarisches Werk über jeden Zweifel erhaben ist, ist seine Person weiterhin sehr umstritten. Robert Ferguson hat in seiner Biografie versucht, dem Rätsel auf die Spur zu kommen, aber wirklich verstehen werden wir Hamsuns Handlungsweise wohl nicht mehr.
Hunger von Knut Hamsun ist in jedem Fall eine absolut empfehlenswerte Lektüre. Für Übergewichtige, die Fasten oder Hungern als mögliche Lösung ihrer Probleme ansehen, ist die Lektüre in doppelter Hinsicht lehrreich. Denn es wird eindeutig klar, dass es alles andere als einfach ist, dass Hungern im Gegenteil etwas Furchtbares ist, hinter dem die Probleme mit dem Übergewicht klein und vernachlässigbar erscheinen. Wer das Buch gelesen hat, gerät natürlich unmittelbar in Gefahr, Hamsuns andere Werke auch noch zu lesen. Die Lektüre kann auch den Blick dafür schärfen, dass es im Leben andere, wichtigere Probleme gibt als ausgerechnet das Gewicht, die Ernährung und das Aussehen.