Warum sollte man abnehmen? Jeder hat seine eigenen Gründe
27. August 2021
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5 Minuten
Astrid Kurbjuweit

Abnehmen ist heutzutage ein Allerweltsthema. Aber warum wollen Menschen abnehmen? Warum sollten Menschen abnehmen? Die Antwort auf diese Fragen ist gar nicht so eindeutig, wie man vermuten könnte.

Wer zu dick ist, soll abnehmen

Zunächst könnte man sagen, wer zu dick ist, wer Übergewicht hat, der sollte abnehmen. Aber damit diese Aussage einen Sinn ergibt, müsste man erst einmal wissen, wann jemand zu dick ist, woran man Übergewicht überhaupt erkennen kann. Die heute gängige Definition von Übergewicht benutzt den BMI, den Body Mass Index. Mittels einer Formel wird aus Körpergröße und Körpergewicht ein Indexwert bestimmt. Liegt dieser Wert bei 25, oder ist er sogar größer, wird die Person als übergewichtig bezeichnet. Liegt dieser Wert bei 30 oder mehr, wird die Person als adipös bezeichnet. Während die Formel des BMI eindeutig definiert ist, liegt die Quelle der Grenzwerte, der 25 und der 30, im Dunkeln. Es gibt keine Begründung dafür, warum jemand mit einem BMI von 24,9 normal gewichtig sein soll und jemand mit einem BMI von 25,1 übergewichtig. Es ist einfach eine willkürliche Festlegung. Genauso gut könnten als Grenzwerte beliebige sonstige Zahlen eingesetzt werden.

Aus einer willkürlichen Festlegung die Forderung abzuleiten, jemand müsse abnehmen, ist nicht unbedingt zwingend. Ein BMI, der größer als 25 ist, ist also als Grund zum Abnehmen nicht ausreichend. Umgekehrt haben viele Menschen, deren BMI kleiner als 25 ist, trotzdem den Wunsch nach Gewichtsabnahme.

Übergewicht schadet der Gesundheit

Immer wieder wird behauptet, Dicke seien weniger gesund als Schlanke, sie würden höhere Kosten im Gesundheitswesen verursachen und öfter krankgeschrieben sein. Wenn man allerdings nach Nachweisen für diese Behauptungen forscht, dann findet man eher wenig. Sehr stark adipöse Menschen sind offenbar tatsächlich eher krank als schlanke Menschen, in Untersuchungen sind solche Zusammenhänge für Menschen mit einem BMI größer als 40 gefunden worden. Für Menschen mit weniger stark ausgeprägtem Übergewicht werden manchmal höhere Krankenraten gefunden und manchmal auch nicht. Interessanterweise scheint das Gewicht mit der höchsten Lebenserwartung, das also doch irgendwie als gesund angesehen werden sollte, im BMI-Bereich zwischen 25 und 30 zu liegen.

Wer also lange leben möchte, tut wahrscheinlich gut daran, nicht allzu schlank zu sein. Denn als halbwegs sicher haben sich nur zwei Fakten feststellen lassen: Untergewicht schadet der Gesundheit, und häufige Diäten mit nachfolgendem Jo-Jo-Effekt schaden der Gesundheit ebenso. Es scheint gesünder zu sein, etwas mehr zu wiegen, als immer wieder ab- und wieder zuzunehmen.

Übergewicht als Gesundheitsrisiko scheint also gar nicht so eindeutig festzustehen. Das gilt wohl vor allem dann, wenn das Übergewicht nicht so stark ausgeprägt ist, wie bei den meisten. Allerdings gibt es Zusammenhänge, zum Beispiel sind ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel ungesund, beides kann auch dick machen.

Insgesamt scheinen die beiden Hauptgründe, die vorgetragen werden, wenn von anderen verlangt wird, sie mögen bitteschön abnehmen, in den meisten Fällen nicht so wirklich stichhaltig zu sein. Es ist einfacher, Gründe dafür zu finden, warum man seine Lebensweise und seine Ernährung umstellen sollte. Was ja durchaus in einer Gewichtsreduktion enden kann.

Aber allen normativen Setzungen zum Trotz scheint das Körpergewicht doch eher eine persönliche, individuelle Angelegenheit zu sein. Viel wichtiger als die Frage, ob man abnehmen sollte, erscheint also die Frage, ob und warum man abnehmen möchte.

Gründe, warum Menschen abnehmen möchten

Wenn man Menschen, die das Ziel einer Gewichtsreduktion angeben, fragt, warum sie denn eigentlich abnehmen möchten, haben viele erstmal Schwierigkeiten, die Frage überhaupt zu beantworten. Abnehmen zu wollen ist für viele so selbstverständlich, dass die Frage nach den Gründen erstmal Verwirrung auslöst. Weiteres Nachdenken führt dann zur Formulierung der unterschiedlichsten Motive. „Weil ich zu dick bin“ ist ein häufig genannter Grund. Dass man diese Feststellung gar nicht so einfach treffen kann, wurde weiter oben schon diskutiert. Der Hinweis führt dann oft zur Einschränkung, dass man sich aber zu dick fühlt. Dieses Gefühl, zu dick zu sein, ist unabhängig vom tatsächlichen Gewicht weit verbreitet und einer der häufigsten Gründe für Abnehmversuche.

Das Gefühl, zu dick zu sein

Leider verschwindet das Gefühl, zu dick zu sein nicht automatisch zusammen mit den Kilos, sondern bleibt oft erhalten, sodass der Wunsch abzunehmen bleibt, egal ob der Abnehmversuch nun erfolgreich war oder nicht. Das Gefühl, zu dick zu sein, scheint eher ein Ausdruck des allgemeinen Gefühls zu sein, nicht richtig oder nicht gut genug zu sein. Dagegen hilft Abnehmen nicht.

Abnehmen, um einfacher shoppen zu können

Ein weiterer, häufig genannter Grund für das Abnehmen ist der Wunsch nach einer kleineren Kleidergröße, danach, problemlos Kleidung einkaufen oder shoppen zu können. Für dieses Konsum-Ziel nehmen viele auch gesundheitlich bedenkliche Abnehmformen wie Crash-Diäten oder Abnehmpillen in Kauf. Die normgerechte Figur scheint für viele wichtiger zu sein als die Gesundheit.

Der Wunsch nach Anerkennung und Bewunderung

Ein oft in unterschiedlichen Formen geäußerter Wunsch im Zusammenhang mit dem Abnehmen ist der, dass man sich Anerkennung und Bewunderung wünscht. Viele scheinen zu denken, dass Schlanke automatisch Bewunderung und Anerkennung auf sich ziehen würden. Tatsächlich ist es eher so, dass Schlanksein immer noch eher die unauffällige Norm ist, Schlanke werden eher übersehen als bewundert. Dicke werden oft nicht übersehen und dann abgelehnt oder gemobbt, aber das heißt nicht, dass Schlanke automatisch positiv auffallen. Der Wunsch nach Anerkennung lässt sich oft mit anderen Mitteln besser erfüllen als ausgerechnet mit Abnehmen.

Die Lösung aller Probleme

Viele, die nicht so genau sagen können, warum sie denn nun eigentlich abnehmen möchten, erhoffen sich von einem niedrigen Körpergewicht die Lösung aller ihrer Probleme. Viele ihrer Sätze fangen mit „wenn ich erst schlank bin, …“ an.

Zusammengefasst gibt es fast unendlich viele Abnehmgründe, die man unter dem Versuch subsumieren kann, einer Norm entsprechen zu wollen oder sich über Äußerlichkeiten zu definieren. Fast immer führen solche Gründe zum Scheitern des Abnehmversuchs. Denn die zugrundeliegende Unzufriedenheit wird durch ein geringeres Gewicht nicht aufgelöst. Wenn das eigentliche Problem ein niedriges Selbstwertgefühl ist, dann hilft Abnehmen nicht. Die Vorstellung, dass das Selbstbewusstsein mit sinkendem Gewicht von alleine steigt, ist nicht zutreffend.

Aber daneben gibt es noch eine andere Klasse von Abnehmgründen.

Das Wohlfühlgewicht

Es stimmt, dass Übergewicht das Wohlbefinden einschränkt. Es ist einfach lästig, bei jeder Kleinigkeit außer Atem zu geraten, in Schweiß auszubrechen oder anderen Misslichkeiten ausgesetzt zu sein. Natürlich kann man auch dick und trotzdem sportlich sein, aber es fällt definitiv leichter, wenn man leichter ist. Und Probleme, die mit starkem Übergewicht entstehen, wie zum Beispiel die Unmöglichkeit, seine Fußnägel selber zu schneiden, lassen sich nur durch Abnehmen lösen.

Wenn es wahr ist, dass Übergewicht das Wohlbefinden einschränkt, dann ist es auch wahr, dass das Wohlbefinden mit jedem Kilo weniger steigt. Das stimmt jedenfalls dann, wenn man mit gesunden, nicht einschränkenden Methoden abnimmt. Es ist nicht nötig, das minimale Gewicht zu erreichen, das vom vorherrschenden Schönheitsideal propagiert wird, es reicht aus, erstmal ein bisschen weniger zu wiegen als jetzt gerade und dann weiterzusehen. Der Effekt für das Wohlbefinden ist enorm. Wer diesen Zusammenhang verstanden hat, wer akzeptiert hat, dass es ohnehin nicht realistisch ist, über Nacht zu einer bewunderten Schönheit zu mutieren, der kann mit guten Erfolgsaussichten abnehmen und sich dabei über jedes einzelne verlorene Kilo freuen.

Man wird sein individuelles Wohlfühlgewicht erkennen, wenn man es erreicht hat, man kann es nicht im Voraus ausrechnen. Wahrscheinlich ist dieses Wohlfühlgewicht auch das, das die besten Chancen auf ein gesundes Leben bietet. Denn wer abnimmt, um sich wohlzufühlen, der wird zu diesem Zweck zu gesunden Mitteln greifen, wie gesunder Ernährung und Sport und Bewegung. Notwendig ist nur, sich zu befreien von einschränkenden Normen und Schönheitsidealen.

Der Erfolg beim Abnehmen hängt also stark davon ab, warum man abnehmen möchte. Das Ausgangsgewicht ist dagegen relativ unwichtig. Wer sich beeinflussen lässt von Forderungen, die andere an ihn stellen, hat genauso eher schlechte Erfolgsaussichten wie jemand, der sich von äußeren Normen und Schönheitsidealen beeinflussen lässt. Wer dagegen sein ganz persönliches Wohlbefinden als Grund des Abnehmens nennt, der hat gute Aussichten, dieses Ziel auch zu erreichen.

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