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Warum uns Fat Shaming und Gewichtsdiskriminierung weder schlanker noch gesünder machen

Der Hass auf Dicke hat viele Namen: Fat Shaming, Fettphobie, Grossophobie, Bodyshaming wirken alle gleich destruktiv, auf alle Menschen. Auch auf die, die gar nicht übergewichtig sind.
Ist Übergewicht gefährlich? Drohungen damit machen es jedenfalls nicht besser.
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10 Minuten
Astrid Kurbjuweit
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Übergewicht ist ungesund? Kann sein. Was Menschen mit etwas mehr Gewicht aber wirklich fertig (und krank) macht, ist die Ablehnung, die Diskriminierung, der Hass, der ihnen ständig und fast überall entgegenschlägt.

Ein Ort, an dem Menschen, die nicht so ganz dem Schönheitsideal entsprechen, immer noch mit mehr oder weniger subtiler Diskriminierung rechnen müssen, ist die Arztpraxis.

Aber das ist nicht der einzige Ort. Und es fängt früh an. Und es wird gehört, auch von denen, die eigentlich gar nicht gemeint sind. Und damit entsteht dann ein Henne-Ei-Problem. Was war zuerst da, das Übergewicht oder das Fat Shaming?

Was war zuerst da, das Übergewicht oder das Fat Shaming?

Man stelle sich ein kleines Mädchen vor, das in Social Media oder im Fernsehen mitbekommt, wie eine junge Frau, die vielleicht tatsächlich gerade so nicht untergewichtig ist, als fett beschimpft wird. Vielleicht wird ihr auch nur nahegelegt, dass sie sich mit ihrer Figur doch anders kleiden sollte.

Egal wie subtil die Botschaft rübergebracht wird, das kleine Mädchen, das nur zuguckt, lernt etwas Wichtiges. Es lernt, dass es, wenn es sich nicht in solchen unangenehmen Situationen wiederfinden will, auf gar keinen Fall dick werden darf.

Das führt direkt zu den Zweifeln, ob es vielleicht sein kann, dass es schon dick ist. Von da ist es nicht weit bis zur ersten Diät. Schon 10-Jährige versuchen heute abzunehmen.

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Zuletzt aktualisiert am 26. Dezember 2024 um 17:16 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.

Nach der Diät kommt dann der Jo-Jo-Effekt. In der Folge ist dann nichts mehr normal.

Manche Kinder werden magersüchtig, andere Kinder werden dick. Die Unterschiede sind kleiner, als man denkt. In beiden Fällen ist die natürliche Regulation des Essverhaltens, Hunger, Sättigung und Appetit, durcheinandergeraten.

Magersüchtige werden oft später im Leben dick. Weil viele nie wieder zu einem normalen Essverhalten finden. Wer als Kind dick war, wird später im Leben meistens noch dicker.

Der Anfang kann durchaus in der längst vergessenen Erfahrung liegen, die das kleine Mädchen irgendwann mal zufällig auf einem der Social-Media-Portale gemacht hat.

Egal, wer sie verordnet – Diät macht dick

Aber es sind nicht nur die Kinder selber, die sich für zu dick halten. Auch besorgte Eltern und mit ihnen so einige Ärzte vertreten die Ansicht, dass schon Kinder ruhig mal Diät halten könnten.

Dass wir längst wissen, dass es keine Diät gibt, die auf Dauer schlank macht, stört dabei nicht.

Spätestens, wenn aus den Kindern Erwachsene geworden sind, werden sie bei jedem Arztbesuch, egal, warum sie dort hingehen, mit der Tatsache konfrontiert, dass sie nicht richtig sind.

Übergewicht in der ärztlichen Praxis

Ärzte kennen sich aus. Denkt man zumindest. Sie wissen, dass Übergewicht ein Gesundheitsrisiko darstellt, dass Übergewichtige eher sterben, dass sie häufiger als andere an einer ganzen Reihe von Krankheiten erkranken und die Gemeinschaft mit hohen Kosten für ärztliche Behandlung und Arzneimittel belasten.

Fat Shaming? Eine schöne, junge Frau

Fat Shaming und Gewichtsdiskriminierung: Nichts ist so wichtig, wie die Privatangelegenheiten anderer Leute. Kümmert euch um euer eigenes Glück, statt anderen Unglück zu wünschen.
Foto: NakoPhotography/Shutterstock

Ob das in der Realität tatsächlich so stimmt, ist zumindest umstritten. Aber für den Menschen, der wegen egal welchem Gesundheitsproblem zum Arzt geht, ist es definitiv nicht hilfreich, wenn er statt einer kompetenten Behandlung die Aufforderung zum Abnehmen bekommt.

Damit der Mensch sich unwohl fühlt, muss die Aufforderung noch nicht einmal direkt ausgesprochen werden. Muss wirklich immer der Bauchumfang gemessen, das Gewicht notiert werden?

Und wenn es statt einer Behandlung nur die Aufforderung zum Abnehmen gibt, dann kommt der Mensch leicht zu dem Schluss, dass Arztbesuche zwecklos sind.

Das führt zum Verschleppen von Krankheiten und in der Folge tatsächlich zu höheren Kosten.

Sind Dicke willensschwach?

Wenn ein Arzt einen Patienten zum Abnehmen auffordert, statt seine Krankheit zu behandeln oder seine Beschwerden ernst zu nehmen, dann bedeutet das auch, dass er glaubt, dass dem übergewichtigen Menschen nur der Wille zum Abnehmen fehlt.

Dass Abnehmen ganz einfach wäre, man müsste es nur wollen und tun.

Für den übergewichtigen Menschen, der mit ziemlicher Sicherheit bereits versucht hat abzunehmen, ist das mindestens demütigend.

Adipositas ist eine Krankheit, auch wenn man sich nicht krank fühlt

Heute ist nicht nur bekannt, dass Abnehmen nicht ganz so einfach ist, sondern es hat sich auch die Anerkennung der Tatsache durchgesetzt, dass zumindest Adipositas, also starkes Übergewicht, eine Krankheit ist.

Das bedeutet, dass Betroffene das eben nicht selbst mit einer Willensanstrengung ändern können.

Und wie bei anderen Krankheiten auch, ist der Wille, gesund zu werden, gut und wichtig. Aber nicht der entscheidende Faktor.

Diese Erkenntnis ist inzwischen medizinisch anerkannter Fakt. Aber leider noch bei weitem nicht überall angekommen. Und so werden Menschen, die etwas mehr wiegen, auch weiterhin beschimpft und diskriminiert.

Grossophobie oder Gewichtsdiskriminierung – der Hass auf Dicke ist überall

Während mehr als die Hälfte der Bevölkerung mehr wiegt, als die Norm für sie vorsieht, ist der Hass auf alle, die auch nur leicht vom Schönheitsideal abweichen, weiter verbreitet denn je.

Diskriminiert und beschimpft werden dabei nicht nur die Menschen, die etwas mehr wiegen, sondern alle, denen sich der Mob überlegen fühlt.

Das Fat Shaming ist dabei auch nur eine Form des Bodyshamings, der Ablehnung der Körper anderer Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen.

Wer sich berechtigt fühlt, andere so zu belästigen, ist häufig der Überzeugung, dass Dicke eben selbst schuld sind. Sie könnten ja abnehmen. Der Stand der Forschung, der ganz eindeutig feststellt, dass es so einfach eben nicht ist, ist diesen Menschen natürlich unbekannt.

„78% der Bevölkerung haben stigmatisierende Einstellungen gegenüber hochgewichtigen Menschen, sehen Hochgewicht als Eigenverschulden an und verbinden es mit einer Reihe negativer Eigenschaften.“ (Stephanie von Liebenstein, Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung)

Aus den Zahlen ergibt sich, dass viele das vermeintliche Versagen internalisiert haben, also auch glauben, an ihrem eigenen Übergewicht selbst schuld zu sein.

Auch wenn man also weiß, dass das alles mehr über die Täter als über die Opfer aussagt, ist es belastend und stressig. Und Stress macht dick.

Stress macht dick

Es ist inzwischen nachgewiesen, dass Stress zu unkontrolliertem Essverhalten führt.

Die biochemischen Mechanismen dahinter sind inzwischen bekannt. Je mehr Stress, und je mehr die Situation dabei als ausweglos erlebt wird, umso eher neigen die Menschen zum Stressessen. Je stärker Dicke also für ihr Dicksein diskriminiert werden, umso dicker werden sie.

Der Arzt, der direkt oder indirekt zum Abnehmen auffordert, dabei aber nicht sagt, wie das funktionieren soll, trägt also mehr zum zunehmenden Übergewicht bei als jemand, der einfach mal nichts sagt.

Gesundheitsgefahren durch Übergewicht: Vorwürfe an Betroffene

Es ist immer noch nicht ganz klar, ob Übergewicht wirklich ein Gesundheitsrisiko darstellt oder nicht vielmehr einfach eine Ausprägung eines Merkmals der Körperlichkeit, wie andere Merkmale auch.

Daten legen nahe, dass sehr hohes Gewicht vermutlich das Risiko für bestimmte Krankheiten erhöht. Für moderates bis starkes Übergewicht gibt es eine Fülle einander widersprechender Ergebnisse, aber keinen wirklichen Konsens.

Vor allem aber werden die Auswirkungen eines ungesunden Lebensstils mit viel Stress und ungesunder Ernährung (Dicke werden nicht nur diskriminiert, sie verdienen auch weniger Geld) selten von den Auswirkungen des Gewichtes getrennt.

Es ist also nicht wirklich zielführend, wenn man Menschen, die etwas mehr wiegen, damit zum Abnehmen „motivieren“ möchte, indem man ihnen die Gesundheitsgefahren des Übergewichtes vor Augen führt.

Denn zum einen ist das auch keine funktionierende Abnehmmethode, und zum anderen werden die Drohungen mit den Gesundheitsgefahren von allen gehört, auch von denen, die eigentlich nicht gemeint sind.

Die Gefahren des Übergewichtes: Wie wirken die Drohungen auf Normal- und Untergewichtige?

Normalgewichtige und Untergewichtige sind nicht wirklich gemeint bei den Hinweisen auf die Gesundheitsgefahren des Übergewichtes. Sie fühlen sich aber in vielen Fällen trotzdem angesprochen.

Viele verspüren das Bedürfnis, zwischen sich und das Krankheitsrisiko einen größeren Sicherheitsabstand zu bringen.

Deshalb versuchen sie abzunehmen. Dummerweise haben die meisten Diäten langfristig zur Folge, dass man durch die Restriktionen beim Essen die normale interne Regulation durch Hunger und satt sein verlieren kann. Dadurch steigt das Risiko für Übergewicht.

Durch die einseitige Ernährung bei vielen Diäten steigt das Risiko einer Fehlernährung, die das Krankheitsrisiko zumindest nicht senken wird. Durch lang dauerndes restriktives Essverhalten, wie es von Diäten vorgeschrieben wird, steigt das Risiko, eine Essstörung zu entwickeln.

Die ständigen Drohungen vor den Gefahren des Übergewichtes bewirken bei Normal- und Untergewichtigen im besten Fall also nichts, im schlimmsten Fall sind sie die Ursache von Übergewicht oder Krankheit.

Die Gefahren des Übergewichtes: Wie wirken die Drohungen auf Übergewichtige, die nicht abnehmen wollen?

Jeder Mensch hat das Recht, mit sich zufrieden zu sein. Und solange wir im Überfluss leben, wird es wohl kaum möglich sein, jemanden dünn zu machen, der das nicht will.

Was allerdings möglich ist, und eben durch die Drohungen auch erreicht wird, ist einem Menschen einzureden, dass er nicht die gleichen Rechte hätte wie alle anderen auch.

Das Ergebnis ist eine permanente Stresssituation für die Betroffenen, begleitet von sozialer Ausgrenzung.

Und wer vielleicht sowieso schon dazu neigt, der wird in dieser Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Essen reagieren. Was eher dazu führt, dass das Übergewicht steigt, als dass es abnimmt.

Bedroht und diskriminiert zu werden erzeugt Stress, der, wenn er mit Essen kompensiert wird, zu mehr Übergewicht führt.

Auch hier gilt, im besten Fall bewirken die Drohungen nichts, im schlimmsten Fall sind sie die Ursache stärkeren Übergewichtes und eventuell noch stressbedingter Krankheiten.

Die Gefahren des Übergewichtes: Wie wirken die Drohungen auf Übergewichtige, die gerne abnehmen möchten?

Übergewichtige, die gerne abnehmen möchten fühlen sich natürlich angesprochen. Allerdings nützt es ihnen überhaupt nichts, wenn sie auf die Gefahren ihres Übergewichtes hingewiesen werden.

Genauso wenig nützt ihnen die Forderung, sie möchten doch bitte ihr Gewicht reduzieren. Wer sowieso abnehmen möchte, der braucht dazu keine Aufforderung und auch keinen Hinweis auf die Notwendigkeit.

Was bringen Fat Shaming und Hinweise auf Gesundheitsgefahren?

Wer sowieso abnehmen möchte, der braucht eine funktionierende Anleitung und Hilfe, die aus dem ewigen Diät-Frust herausführen und eine langfristige Gewichtsreduktion tatsächlich möglich machen.

Und da muss man trotz gewisser Fortschritte doch festhalten, dass es immer noch keine wirklich funktionierende Abnehm-Methode gibt. Die meisten Menschen nehmen wieder zu, viele wiegen einige Zeit nach dem Abnehmen mehr als vorher.

Und das alles gilt leider auch für die besten, heute von Medizinern und anderen Experten propagierten Abnehmmethoden.

Selbst mit vorurteilsfreiem Bemühen, ohne Fat Shaming, ohne Gewichtsdiskriminierung, streng auf dem Boden der wissenschaftlichen Tatsachen bleibt Abnehmen ein Unternehmen mit zweifelhaftem Ausgang.

Hinzu kommt eine weitere, eher selten diskutierte Tatsache: Abnehmen stellt auch ein Gesundheitsrisiko dar. Wer abnimmt, stirbt oft früher.

Statt über Abnehmen sollten wir vielleicht öfter darüber reden, wie wir das verbreitete Fat Shaming, die verbreitete Gewichtsdiskriminierung reduzieren könnten.

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Beitragsbild: Motortion Films/Shutterstock