Fleisch und Gemüse: Paleo-Diät
27. August 2021
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7 Minuten
Astrid Kurbjuweit

Menschen neigen zu Extremen. Während den einen vegetarisch nicht mehr ausreicht, es seit einiger Zeit unbedingt vegan sein muss, können die anderen garnicht genug Fleisch bekommen und nennen das Ganze dann Paleo-Diät. Da eine Mehrheit auf die eine oder andere Weise von Übergewicht betroffen ist, darf natürlich die Behauptung nicht fehlen, dass das Ganze eine schlank machende und zudem natürlich gesunde Ernährungsweise darstellt. Es wird behauptet, dass viele Krankheiten nur deshalb so häufig sind, weil sich die meisten von uns nicht mehr wie unsere steinzeitlichen Vorfahren ernähren.

Das Prinzip ist ganz einfach. Man isst nur solche Lebensmittel, die unsere Vorfahren in der Altsteinzeit auch schon gegessen haben. Die Begründung dafür ist, dass das der längste Abschnitt in der Entwicklung der Menschheit ist, dass wir deshalb optimal an diese Ernährungsweise angepasst sind.

Steinzeit-Ernährung

Es ist nicht ganz einfach, anzugeben, was die frühen Menschen in der Altsteinzeit tatsächlich gegessen haben. Denn es gab damals mehrere Menschenarten, nicht nur Homo sapiens wie heute. Und diese verschiedenen Arten besetzten wahrscheinlich unterschiedliche ökologische Nischen, wie man es auch heute noch von verschiedenen Tierarten kennt. Sie werden kaum alle das gleiche gegessen haben. Hinzu kommt, dass die Altsteinzeit wirklich ein langer Zeitraum war, während dem sich die Menschen über die gesamte Erde ausgebreitet haben. Auch deshalb werden kaum alle dasselbe gegessen haben.

Ein paar Dinge kann man allerdings als ziemlich sicher ansehen. Es gab damals keine industriell hergestellten Nahrungsmittel, keine Zusatzstoffe, keinen Zucker. Erwachsene haben, wie andere erwachsene Säugetiere auch, keine Milch vertragen. Und es gab natürlich nur Wildpflanzen, keine Kulturpflanzen. Das heißt unter anderem, dass unsere Vorfahren die meisten Obst- und Gemüsesorten, die für uns so selbstverständlich sind, garnicht kannten. Auch kein Getreide. Wohl aber die Wildformen aller dieser Pflanzen, auch Gräser und deren Samen.

Schon diese Punkte zeigen, dass es heute nicht ganz einfach ist, sich wie in der Steinzeit zu ernähren. Auch beim Fleisch, das nach Ansicht einiger damals ein Hauptnahrungsmittel gewesen sein soll, kann man ziemlich sicher ein paar Unterschiede zu heute annehmen. So haben die Menschen erst irgendwann im Laufe der Altsteinzeit gelernt, das Feuer zu beherrschen. Davor stand zwar wohl auch Fleisch auf dem Speiseplan, aber eben roh, oder, wahrscheinlicher, in Form von Aas. Zumindest theoretisch könnte man sich auch heute noch so ernähren, aber so konsequent wird kaum jemand sein wollen.

Aber auch nach der Beherrschung des Feuers wird es sicherlich nicht wie heute nur die Steaks und Filetstücke gegeben haben, sondern das ganze Tier. Bei diesen Tieren hat es sich auch nicht um die heute bekannten Nutztiere gehandelt, sondern um heute teilweise ausgestorbene Wildtiere. Wildlebende Tiere enthalten sehr wenig Fett, jedenfalls dann, wenn sie in warmen oder gemäßigten Klimazonen leben. Es dürfte für unsere Vorfahren also garnicht so einfach gewesen sein, viel tierisches Fett zu sich zu nehmen. Erst mit der Domestizierung, mit der Entwicklung der Nutztierrassen, stieg der Fettgehalt von Fleisch an.

Steinzeit-Lebensweise

Während der Altsteinzeit lebten die Menschen als Jäger und Sammler. Das ist heute natürlich nicht mehr möglich, wird wohl auch von niemandem, auch nicht von den Anhängern der Steinzeit-Ernährung mehr angestrebt. Die Behauptung, dass die Menschen damals gesünder waren, nicht unter Zivilisationskrankheiten litten, ist bestimmt richtig, wenn auch kaum beweisbar. Allerdings sollte man nicht verkürzt davon ausgehen, dass die Ernährung die alleinige Ursache dafür war.

Denn auch wenn sowohl die Lebensweise als auch die Ernährung sicherlich Vorteile gegenüber den heutigen Varianten aufweisen, so sollte man doch nicht vergessen, dass die Lebenserwartung damals so um 30 bis 35 Jahre betrug. Nicht zu vergessen eine für heutige Verhältnisse unvorstellbar hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit. Hinzu kommt, dass die Lebenden natürlich gesund waren, wer krank war, hatte keine Chance, der starb eben.

So gesund zu sein wie in der Steinzeit ist also nur bedingt anstrebenswert, bedeutet es doch auch ein sehr kurzes Leben. Die ersten 30 oder 40 Jahre sind auch heute die meisten gesund, die Zivilisationskrankheiten machen sich in den meisten Fällen erst später bemerkbar. An welchen Krankheiten und Zipperlein Steinzeitmenschen gelitten hätten, wenn sie denn so alt geworden wären wie wir heute, können wir nicht wissen.

Die Steinzeitmenschen waren bestimmt schlank, auch wenn das kaum beweisbar sein dürfte. Daraus folgt aber noch nicht, dass wir heute mit einer Steinzeiternährung genauso schlank sein werden. Selbst von den gesündesten Lebensmitteln kann man zuviel essen. Und wir dürfen natürlich nicht annähernd soviel essen wie unsere steinzeitlichen Vorfahren. Schließlich hat das Dasein als Jäger und Sammler natürlich ungleich mehr Energie verbraucht als das heute übliche Sitzen. Nahrung egal welcher Art war ungleich schwerer zu beschaffen, mit viel mehr Mühe und wohl auch oft genug ohne Erfolg. Vor allem im Winter wird es nicht immer allen gelungen sein, für ausreichende Ernährung zu sorgen. Schlank zu sein ist sicherlich anstrebenswert, aber manchmal sollte man auch bedenken, dass der Hungertod, der damals wohl garnicht so ungewöhnlich war, nicht wirklich anstrebenswert ist.

Die genetische Ausstattung

Die Anhänger der steinzeitlichen Art der Ernährung behaupten, dass das die artgerechte Ernährung für den Menschen wäre, weil sich sein Genom während der Altsteinzeit entwickelt hätte und die Zeit danach viel zu kurz wäre, um noch Veränderungen, Anpassungen an neue Ernährungsweisen hervorzubringen.

Eine solche Behauptung lässt sich natürlich schwer beweisen oder widerlegen. Bedenken sollte man aber, dass es damals noch mehrere Menschenarten gab, die sich natürlich in ihrer genetischen Ausstattung unterschieden. Der moderne Mensch, Homo sapiens, war damals noch eine kleine Minderheit. Dass diese kleine Minderheit sich schließlich durchgesetzt und über die ganze Erde ausgebreitet hat, liegt wohl eher nicht daran, dass sie auf eine bestimmte Art der Ernährung festgelegt ist, sondern eher daran, dass sie sich auf unglaublich viele unterschiedliche Arten und Weisen ernähren kann.

Und schließlich können sich genetische Veränderungen unglaublich schnell durchsetzen, wenn sie Vorteile bringen. Ein Beispiel dafür ist das Enzym Laktase, das die Verdauung von Milchzucker ermöglicht. Alle Säugetiere, inklusive der frühen Menschen, verlieren dieses Enzym mit dem Erwachsenwerden. Sie können sich nur als Säuglinge und Kleinkinder von Milch ernähren. Mit der Neolithischen Revolution, also dem Beginn der Jungsteinzeit, begannen die Menschen, zusammen mit einer sesshaften Lebensweise auch Vieh zu halten. Damit hatten sie erstmals die Möglichkeit, an Milch zu kommen. Das ist ungefähr 10.000 Jahre her, ein für die Evolution sehr kurzer Zeitraum. Und trotzdem haben sich die Milchtrinker, also die Träger der Mutation, die die Verdauung des Milchzuckers auch Erwachsenen erlaubt, in der kurzen Zeit fast vollständig durchgesetzt.

Auch wenn es heute modern ist, an Laktoseintoleranz zu leiden, so sind doch die meisten Betroffenen, wie die anderen auch, Träger der Mutation. Sie leiden an erworbener (und in manchen Fällen auch eingebildeter) Laktoseintoleranz, was von der Mutation zu unterscheiden ist. Man kann davon ausgehen, dass es im Laufe der Menschwerdung noch mehr solche Mutationen gegeben hat, auch wenn in den meisten Fällen nur die Variante bekannt ist, die sich schließlich durchgesetzt hat.

In der Paleo-Diät oder Steinzeiternährung kommen Milch und Getreide nicht vor, weil beides erst mit der neolithischen Revolution Bestandteil der menschlichen Ernährung wurde. Zumindest was das Getreide angeht, darf das zumindest in einem weiteren Sinne bezweifelt werden. Denn alle Getreidearten sind Gräser. Die Urformen dieser Gräser gab es auch damals schon, und die Menschen haben die winzigen Samen gesammelt und gegessen. Mit der Entstehung des Ackerbaus wurde dann natürlich daran gearbeitet, die Samenkörner und die Erträge größer werden zu lassen, aber das Prinzip, dass es sich um die Samen von Gräsern handelt, ist bis heute unverändert.

Auch wenn es richtig ist, dass die Menschen vor der neolithischen Revolution keine Milch vertrugen, so ist die Mutation, die uns das beschwerdefreie Milchtrinken ermöglicht, schon lange so weit verbreitet, dass man sie als den Normalfall beim modernen Menschen ansehen kann. Und die anderen können sich trotzdem auch mit Milchprodukten ernähren, können Joghurt, Sauermilch und Käse essen.

Die Anhänger der Steinzeiternährung argumentieren, dass die veränderte Ernährung mit Getreide und Milch, die der Übergang zur Sesshaftigkeit mit sich brachte, nicht gesund gewesen sein kann, weil die Menschen in der ersten Zeit der Sesshaftigkeit an Körpergröße verloren haben, häufig Infektionskrankheiten zum Opfer fielen und insgesamt eine verringerte Lebenserwartung hatten.

Auch wenn diese Fakten inzwischen belegt zu sein scheinen, so ist damit nicht nachgewiesen, dass die Ernährung die Ursache gewesen ist. Das erscheint sogar unwahrscheinlich. Vielmehr hat die Sesshaftigkeit durch den engen Kontakt vieler Menschen untereinander und mit ihrem Vieh zur starken Verbreitung der Krankheiten geführt. Missernten haben zu Hungersnöten geführt, denen dann schwerer ausgewichen werden konnte als zur Zeit des nomadischen Lebens.

Insgesamt hat sich die Menschheit in der Jungsteinzeit aber sehr stark vermehrt, was gegen die These spricht, dass sie durchgehend schlecht ernährt gewesen sind. So viele Menschen zu ernähren, wäre durch Jagen und Sammeln vermutlich garnicht möglich gewesen. Ackerbau und Viehzucht, inklusive Milchwirtschaft, haben es möglich gemacht.

Was die Körpergröße angeht, so ist diese ja tatsächlich immer weiter angestiegen, obwohl die Menschen nicht zur nomadischen Lebensweise zurückgekehrt sind. Was vermutlich durch gute Ernährung bedingt ist. So kann man auch heute noch zeigen, dass Notzeiten dazu führen, dass die Menschen tendenziell kleiner werden. Dass wir heute seltener an Infektionskrankheiten sterben, liegt dagegen nicht so sehr an der Ernährung. Hygiene und Medizin haben da den größeren Einfluss, beides Dinge, die wohl in der Steinzeit noch unbekannt waren.

Steinzeiternährung und Paleo-Diät

Die Paleo-Diät ist jetzt in gewisser Weise die moderne Variante der Steinzeiternährung. Man versucht, sich die positiven Aspekte dieser Ernährungsweise herauszupicken, dabei auf die unangenehmen möglichst zu verzichten. Das Ergebnis soll eine gesunde, schlank machende Ernährungsweise sein. Die Argumentation ist ungefähr so: Da gab es eine größere Menschengruppe, die sich so ernährt haben und die alle schlank und gesund waren. Wenn wir es so machen wie die, dann werden wir auch alle schlank und gesund. Auch wenn oben argumentiert wurde, dass es wohl kaum so einfach ist, enthält die Behauptung natürlich ein Körnchen Wahrheit.

Dass unsere heutige Ernährungs- und Lebensweise nicht unbedingt schlank macht, ist offensichtlich. Ob sie gesund ist, ist eine Frage der Betrachtungsweise. Von daher ist es richtig, nach Alternativen zu suchen. Es ist sicherlich eine gute Idee, sich möglichst von industriell gefertigter Nahrung zu verabschieden und möglichst naturbelassene Nahrung zu sich zu nehmen. Da der Mensch ein Allesfresser ist, kann man annehmen, dass ein gewisser Fleischanteil in der Ernährung gut für ihn ist. Ein reiner Fleischfresser ist der moderne Mensch dagegen ganz sicher nicht, schließlich kann er auch mit fleischfreier Ernährung gut leben.

Allerdings haben sich seit der Altsteinzeit ein paar Dinge verändert, die bei der Ernährung mit berücksichtigt werden sollten. So ist unsere heutige Lebensweise kaum mit der in der Altsteinzeit vergleichbar. Wir verbrauchen ungleich weniger Energie, haben auch ungleich weniger Zeit zur Verfügung, um nach Essen zu suchen. Wir sammeln und jagen im Supermarkt, und es gibt keine wirklich akzeptablen Alternativen dazu, nicht für größere Menschengruppen. Unsere Nahrung stammt nicht von wilden Tieren, nicht von wilden Pflanzen, sondern von Pflanzen und Tieren, die in einem langen Prozess domestiziert und kultiviert worden sind. So richtig schlecht scheint das nicht zu sein, schließlich hat sich die Menschheit in den letzten 10.000 Jahren um ein Vielfaches vermehrt und auch die letzten Lebensräume auf der Erde erschlossen.

Der eine oder andere kann vielleicht soviel Zeit und Energie aufbringen, sich sein Essen aus Grassamen, wilden Himbeeren und Regenwürmern selbst zusammenzusuchen, aber das ist keine Alternative, um die gesamte heutige Bevölkerung zu ernähren. Stattdessen Steaks und kultivierte Gemüsepflanzen zu essen, ist auch nicht sehr steinzeitlich.

Die Paleo-Diät kann deshalb keine echte Steinzeiternährung sein, und ob es sinnvoll ist, sich mit einer irgendwie daran angelehnten, an heutige Vorlieben und Wünsche angepassten Ernährungsform einzureden, man würde leben wie in der Steinzeit, darf angezweifelt werden.

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Beitragsbild: Anna Hoychuk/Shutterstock